Ende der 1890er Jahre begann Alaska, eines der kältesten und frostigsten Gebiete unserer Erde, das bei der Menschheit so geschätzte Gold auszuspucken – eine nahezu unbegrenzte Schatzkammer. Das in Alaska und am Yukon entfachte, berühmt-berüchtigte Goldfieber, regt bis heute die Fantasie von Abenteurern und Romantikern an. Die Menschen waren Helden und auch die ihnen dienenden Hunde wurden zu solchen.
Die weiter unten beginnende Reihe wird in einigen Geschichten einen Einblick in die glorreiche Vergangenheit ermöglichen und vielleicht stellt sich heraus, dass nur Zeit und Entfernung diese Ära in ein romantisches Licht gerückt haben. So abgedroschen es auch klingen mag: Der Hund war das einzige Haustier, Jagdgefährte und manchmal auch Lebensmittel der zuerst die Bering-Enge überwindenden und die Neue Welt „erobernden“ Volksgruppen, der Paleo-Indianer. Die Jahrhunderte und Jahrtausende kamen und gingen und der Hund blieb das einzige Arbeitsmittel im fernen Norden. Seine Größe und sein Aussehen änderten sich von Ort zu Ort. An der Westküste Alaskas wurden andere Hunde von den Yupik verwendet, als von den im Innern des Kontinents lebenden Athapasken. Die Funktion der Hunde und ihre Aufgaben ähnelten sich jedoch. Im Winter zogen sie die Schlitten und halfen bei der Jagd, im Sommer trugen sie Lasten und erleichterten dadurch das Leben ihrer Besitzer.
Hunde waren auch beim Eintreffen der euro-amerikanischen Trapper und Goldsucher dabei. Der weiße Mann erkannte schon bald, dass der Hund als Gefährte in dieser rauen und unfreundlichen Gegend unentbehrlich ist. 1986, im Jahr der Entdeckung der Goldader von Klondike, betrug der Wert eines guten Schlittenhundes ein Vielfaches seiner südlicheren Verwandten. Während ein Hund in Seattle $15 kostete, konnte das gleiche Tier in Skagway das Zehnfache kosten.
Über die Hunde des Nordens sind unzählige Märchen, Geschichten und Legenden entstanden. Buck, Wolfsblut und die anderen Hunde, die Jack London, Robert Service und Oliver Courwood inspirierten, verfügten oft über eine reale Grundlage, die manchmal sogar aufregender war, als die erfundenen Geschichten.
Werfen wir also einen Blick in eine längst vergangene Zeit und lernen wir die Menschen und Hunde kennen, die uns heute aus vergilbten Fotos und abgewetzten, zerrissenen Büchern entgegensehen.
I. „Scotty” Allan und Baldy
Der schottische Abenteurer Allan Alexander Allan, mit Spitznamen Scotty Allan, war ein Gigant in der Geschichte der Hundeschlittenfahrt. Bei uns ist er jedoch beinah völlig unbekannt. Scotty Allen, König der Polarrouten, wurde 1867 in Dundee, Nordschottland geboren. Bereits früh begann er sich mit der Ausbildung von Pferden und dem Trainieren von Hirtenhunden zu beschäftigen. Er war noch keine 20 Jahre alt, als er mit seinem Border Collie den Großen Nationalen Treiberwettbewerb gewann.
1887 reiste er in die USA, wo er eine Gruppe von Clydesdale-Hengsten begleitete. Als er die Pferde übergeben hatte beschloss er, dass er sein Glück in der Neuen Welt versuchen würde. Als Gelegenheitsarbeiter gelangte er immer weiter gen Westen. Klondike erreichte er 1897 mit seiner jungen Frau und seinem gerade einmal 2 Monate alten Baby. Da er am meisten von Hunden verstand, fand er schon bald eine passende Aufgabe: Er wurde Postbote. In den nördlichen Kreisen bedeutete das, dass er tausende von Meilen auf Hundeschlitten zurücklegte und – oft unter unmenschlichen Bedingungen – Pakete, Briefe und Informationen transportiere. In Eis und Schnee, ja sogar bei -50°C, mussten die offiziellen Lieferungen verteilt werden. Im Jahr 1900 entdeckte man an der Westküste Alaskas eine noch größere Goldader, als die von Klondike. Innerhalb kürzester Zeit wimmelte es an der Westküste vor Menschen, in der bis dahin unbewohnten, frostigen und sandigen Gegend. Einige Wochen lang wurde eine Zeltstadt errichtet, die sich langsam in eine richtige Stadt verwandelte. Einen Namen bekam sie jedoch nicht, weshalb der Ort ganz einfach „No Name“ genannt wurde, woraus später „Nome“ wurde. Bis heute trägt sie diesen Namen. Hier wurden riesige Goldbestände gefunden und hier wurden die Menschen reich, die später die Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben sollten.
Auch Scotty Allan erschien mit seiner Familie in Nome. Schon bald begann er als Musher bei der Firma Darling & Dean Hardware Co. zu arbeiten. Innerhalb kürzester Zeit wurde er als fanatischer Musher (Hundeschlittenführer) überall berühmt. Er war selbst bei härtesten Wetterbedingungen bereit, ein Fernschreiben 100 Meilen weit zu transportieren. 1908 gründete der aus Kentucky angereiste Albert Fink den Nome Kennel Club, der die erste professionelle Musher-Organisation der Welt war. Der Gründer war ehemaliger Pferdezüchter in Kentucky und er erfand ein, dem Kentucky Derby angelehntes und typisch amerikanisch aufgebautes, mit Wetten verbundenes Hundeschlittenrennen. Dieser Wettbewerb nennt sich „All Alaska Sweepstakes“. Die Gespanne fuhren von Nome nach Candle und zurück über insgesamt 408 Meilen (ca. 660 km). Beim ersten Wettkampf startete natürlich auch Scotty mit den Hunden von John Berger. Er wurde Zweiter, was ihn unglaublich wütend machte. Im nächsten Jahr trieb er erneut Bergers Hunde an. Sein neuer Leithund war ein großer, gefleckter Mischling (aus Husky und Jagdhund) mit dem Namen Baldy. Von jetzt an sollte sich das Leben der beiden eng miteinander verschlingen. 1910 gewann Fox Maule Ramsai zu aller Überraschung den Wettkampf mit seinen kleinen, aus Sibirien importierten Schlittenhunden. Scotty bereitete sich ein Jahr lang mit seinen Mischlingen auf den nächsten Wettbewerb vor und der Erfolg blieb nicht aus: 1912 gewann er Sweepsteak zum dritten Mal. Beim vierten Wettkampf trieb Scotty bereits seine eigenen Hunde an, denn er hatte gemeinsam mit der berühmten Schriftstellerin und Dichterin Esther Birdsall Darling einen Züchterverband gegründet. Für die Nachwelt verfasste die Schriftstellerin den kleinen Roman Baldy of Nome.
Baldy zeigte bereits im Welpenalter herausragende Fähigkeiten und es war eindeutig, dass er zum Leithund geboren war. Wenn er nicht gerade den Schlitten zog, blickte er sehr ruhig, fast schon stoisch in die Welt. Eingespannt jedoch war für das ganze Team klar, dass Baldy der Chef ist, wie auch für Baldy klar war, dass es nur einen „Gott“ für ihn gibt, nämlich Scotty.
Im Gegensatz zu anderen Musher, liebte Scotty es bei stürmischem Wetter zu fahren und Baldy hörte die Pfeifsignale seines Besitzers auch bei größtem Wind. Scotty Allan hatte die Pfeifsignale aus Schottland mitgebracht und sein ganzes Leben lang blieb er bei der Meinung, dass man mit einem Hund nicht herumschreien, sondern sich ihm verständlich machen muss.
Er war eitel und verfügte über einen starken Körperbau, war jedoch nur 160 cm groß, was ihn außerordentlich störte. Deshalb liebte er Hüte und hatte das Gefühl, dass ein guter Hut ihm ein besseres Aussehen verschaffte. Oft konnte man ihn in Nome mit Baldy an seiner Seite sehen, wie er plump auf der schlammigen Hauptstraße spazierte und auf seinem Kopf den eben aktuellen Hut.
Die Geschichte des Sweepstakes endet mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg im Jahr 1917. In Scottys und Baldys Leben öffnete sich jedoch eine neue Tür: Im Auftrag der französischen Armee suchte Leutnant Rene Haas Scotty Allan mit dem geheimen Auftrag auf, Schlittenhunde für die französische Armee auszubilden. Die Hunde wurden besonders beim Transport von Nachschub benötigt, weil sie im tiefen Schlamm besser vorankamen, als Maultiere oder Lastwagen. Scotty Allan suchte 106 Hunde in Nome und weitere 300 aus dem kanadischen Québec zusammen. Bei der Ausbildung der Hunde Baldy Scottys größte Hilfe, der den anderen Hunden all das zeigte, was er bereits gelernt hatte. Die Ausbildung verlief großartig und mehr als 400 Hunde bewiesen ihre Fähigkeiten in den Ardennen und den Alpen.
Zum Ende des Auftrags zog Scotty mit seiner Familie und Baldy nach Juneau, Alaska. Von dort zogen sie nach einigen Jahren nach Kalifornien. Baldy und eine Hündin mit dem Namen Laska, verlebten ihre alten Tage in einer riesigen, von Weinbergen und Orangenhainen umgebenen Villa.
Auf Anfrage der USA bildete Scotty Allan die an der 1928er Expedition von Richard Bird in die Antarktis teilnehmenden Hunde aus. Die von der Expedition zurückkehrenden Hunde gelangten zu Eva „Short“ Sheely nach New England. Scotty half ihr eine moderne Rasse zu begründen, die den Namen Alaskan Malamute erhielt. Scotty Allan starb 1941 in Kalifornien.
János Horváth