Eine Gruppe von Hunden rennt im Auslauf auf uns zu. Einer von ihnen – eine argentinische Dogge – trägt an seinem Geschirr die von Weitem sichtbare Aufschrift „Ich bin taub“. Wie es wohl sein mag Besitzer eines gehörlosen Hundes zu sein? – Bori Lászlóné Varga erzählt von ihrem Hund Carlos, der sein Leben ohne Töne, mit einem Deutschen Schäferhund, zwei Katzen und einem Baby teilt.

 

Wie ist Carlos zu dir gekommen?

Ich wollte schon immer eine argentinische Dogge, aber kaufen wollte ich keine. Ich bin eher für die Rettung. Eines Tages erschien auf der Facebook Seite von FEMA Dogo Rescue (einer Tierschutzorganisation, die darauf spezialisiert ist argentinische Hunderassen zu retten) eine Nachricht, dass bei einem Züchter von 8 Welpen, 4 taub geboren sind und man für sie ein neues Zuhause sucht. Ich habe mich sofort in Carlos verliebt, aber mein Mann war skeptisch. Ich begann im Internet Videos anzusehen, wie man mit einem tauben Hund kommunizieren kann und ich sah, dass es sich tatsächlich kaum davon unterscheidet, wie man mit einem hörenden Hund kommuniziert. Mein Mann hat sich unter dem Einfluss der Videos dazu überreden lassen, den Welpen wenigstens anzusehen. Carlos ging sofort zu ihm, als ob er gewusst hätte, wen er erobern muss. Wir haben ihn damals noch nicht mitgenommen, er war noch zu klein, aber wir haben auf dem Nachhauseweg darüber gesprochen, wann wir ihn abholen. Er war ungefähr 8-10 Wochen alt, als er mit uns nach Hause kommen konnte. Wir haben also Glück, dass wir seine erste und einzige Familie sind.

 

Welchen Grad an Taubheit hat Carlos? Kann er überhaupt nichts hören?

Als er klein war, hat der Tierarzt durch eine Untersuchung mit Instrumenten eine 99%ige Taubheit festgestellt. Also ich denke, dass einige Töne durchdringen können. Denn wenn wir ihn beim Carport anhupen, damit er etwas beiseite geht, dann hebt er sein Kopf. Ich weiß nicht, ob er vielleicht auf die Veränderungen der Luftvibrationen reagiert, oder ob er wirklich etwas hören kann.

 

 

Auf welche Weise kommunizierst du mit ihm?

Mit Handzeichen, Berührungen und der Kombination von beiden. Hier gibt es keine Gebärdensprache, wie im Falle von gehörlosen Menschen. Jeder Besitzer verwendet eine eigene Kommunikationsmethode, die für ihn als am effektivsten scheint. Wir haben die Signale so erarbeitet, wie es für uns logisch war. In unserem Fall besteht das Freilassen beim Auslauf oder zum Spielen beispielsweise darin, dass ich ihm zweimal auf seinen Hintern klopfe. Obwohl alles klar ist, kommt es dennoch manchmal vor, dass ich einen Fehler mache und ihm aus Versehen einen Klaps gebe. Natürlich läuft Carlos dann trotzdem gleich los, weil er das Signal versteht, aber so lehrt er auch uns, bessere Konzentration.

Es ist auch eine Art Unterrichtsmethode, dass ich für bestimmte Aufgaben verschiedenfarbige Belohnungshappen in verschiedenen Geschmacksrichtungen verwende. Es gibt eine andere Belohnung für den Rückruf, eine andere für das Gewöhnen an den Platz. Wirklich nur die menschliche Vorstellungskraft kann Grenzen bei den Unterrichtsmethoden setzen. Das Wichtigste ist, dass wir unsere Einstellung im Kopf ändern und kreativ werden müssen.

Ich habe kürzlich ein vibrierendes Halsband ausgeliehen bekommen, um es auszuprobieren. Es hat so gut funktioniert, dass wir es wohl weiterverwenden werden.

 

Wofür benutzt ihr es?

Zuerst habe ich zu Hause geübt. In zufälligen Momenten habe ich es aktiviert und ihm dann gezeigt, dass er zu mir kommen soll und dafür einen Belohnungshappen bekommt. Er lernte blitzschnell, dass die Vibration einen Leckerbissen bedeutet. Er muss nur kommen, um es abzuholen.

Vor dem Halsband war es auch schwierig mit ihm spazieren zu gehen. Obwohl wir an einem Naturschutzgebiet abseits von Autos und Menschenmassen leben, habe ich es nur gewagt mit ihm spazieren zu gehen, wenn ich ihn an eine 7-8 Meter Langlaufleine gebunden habe. Wir wohnen mit meinen Eltern in einem Doppelhaus und haben einen gemeinsamen Garten, sodass ihr geretteter Deutscher Schäferhund „Belian“ den Alltag mit Carlos teilt. Wir nehmen Belian auch immer auf die Spaziergänge mit. Früher habe ich oft beiden Hunden ein Geschirr angelegt und sie dann miteinander verbunden, so konnten sie frei herumlaufen. Wenn ich Belian rief, musste Carlos dann auch mitkommen. Dies ist jedoch seit dem Vibrationshalsband nicht mehr nötig. Manchmal läuft Carlos sogar so weit weg, dass ich ihn kaum sehen kann. Es ist aber nah genug, um eine Vibration an sein Halsband zu senden und er kommt zu mir zurück.

 

Wie ist die Beziehung zwischen den beiden Hunden? Haben sie etwas voneinander gelernt?

Natürlich war Belian, als wir Carlos unterrichteten, immer um uns herum und beobachtete uns. Er lernte also auch die Handzeichen und reagierte nach einer Weile. Carlos kopiert und imitiert Belian aber auch. Jetzt, wo wir sie frei laufen lassen, sehen wir, dass Carlos immer Belian beobachtet und wenn Belian die Richtung ändert, folgt er sofort seiner Bewegung. Er denkt sicherlich, dass es dort etwas Interessantes gibt.

 

Besucht ihr auch eine Hundeschule, oder geht ihr einfach nur spazieren?

Die Sozialisation ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung, vor allem wenn der Hund taub ist. Nachdem Carlos seine Impfungen bekommen hat, haben wir sofort die Möglichkeiten gesucht. Dank der FEMA Dogo – Rescue besuchten wir mit Carlos- eine Hundeschule in Vác, bis er 6 Monate alt war. Wir konnten kostenlos das Canispro Hungary Rehabilitationszentren besuchen, wo er von einem Hundetrainer, der auf die Ausbildung von tauben Hunden spezialisiert ist, unterrichtet wurde. Damit wollten sie bei der Adoption der Welpen helfen. Das Training war sehr nützlich und dort haben wir die Betrachtungsweise kennengelernt, dass nicht der Hund ein eigenes System lernen muss, sondern das Herrchen, also wir müssen uns ändern. Er wurde taub geboren, deshalb weiß er nicht, wie die Welt der Töne ist. Für ihn war es nie ein Kommunikationskanal, aber alles andere war es. Das mussten wir lernen. Schon während des Trainings besuchten wir regelmäßig einen betreuten Hundeauslaufplatz, was bis heute unser gemeinsames Programm ist.

 

Wie verhält sich Carlos auf dem Hundeauslaufplatz?

Anfangs, als er noch ein tollpatschiger Junge war und die Hormone bei ihm verrückt gespielt haben, wollte er mit jedem Hund spielen, auch mit solchen, die es nicht gern mochten. Da war die Taubheit ein Nachteil, da er die ersten ernsthaften Warnungen, wie das Knurren, nicht hörte. Dann haben die Hunde durch Schnappen und Kneifen gezeigt, dass ihnen diese Annäherung allmählich zu viel ist. Ab und zu war es notwendig, Carlos am Griff seines Geschirrs aus der Situation herauszuheben.

Er war ein paar Monate alt, als sich ein junger Schäferhund Welpe in der Ecke des Hundeauslaufs zusammenkauerte. Die anderen Hunde rannten herum und spielten miteinander, aber diese kleine Hündin hatte Angst und rührte sich nicht vom Fleck. Carlos bemerkte sie und umwarb sie. Leckte sie sanft und lockte sie solange, bis er die Hündin endlich aus ihrer Angstlage herausgeholt hatte. Seitdem spazierten die beiden zusammen und stimmten sich aufeinander ein. Bis heute sind sie beste Freunde. Ich denke, dass ihm seine Taubheit dabei geholfen hat, sich nicht von den spielenden Hunden ablenken zu lassen und er sich mit allen Sinnen auf den Welpen fokussieren konnte.

 

Lidia und Carlos

Carlos hat sehr gut gelernt, dass er ruhig spielen kann. Aber er beobachtet uns immer aus dem Augenwinkel und achtet darauf, dass wir in seinem Blickfeld bleiben. Diese Art der Bindung und Aufmerksamkeit haben wir nicht in der Hundeschule gelernt, es ist das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit. Die Beziehung zwischen uns ist einfach entstanden und gewachsen. Wir wissen, was wir voneinander erwarten können.

 

Wie reagieren die Menschen darauf, dass Carlos nicht hören kann?

Ich war völlig überrascht, warum viele Menschen, die die Aufschrift „Ich bin taub“ sehen, mich fragen: „Warum ist es an das Geschirr geschrieben?“. Wir haben jedoch bewusst den Alltagsbegriff „Taub“ anstelle von „Gehörlos“ verwendet. Übrigens lautet die erste Reaktion von allen immer: „armer Hund“. Ich sage dann, dass das nicht weh tut, er wurde so geboren. Für ihn ist diese Welt also vollständig und er hat kein Sinnesorgan verloren. Ich bin stolz darauf, dass niemand ihn anhand seines Benehmens für taub hält, weil er ein Teil des Teams ist. Er macht bei jeder Party mit und ist sehr folgsam. Ansonsten liebt er die Menschen sehr. Er braucht ihre Berührungen und will gestreichelt werden. Am Hundeauslaufplatz hat er seine „Lieblingsmenschen“, von denen er immer seine Streicheleinheiten einsammelt. Übrigens gehen wir dort immer mit dem Geschirr mit der Aufschrift „Ich bin taub“, hin, da sich das Team ändert und nicht jeder weiß, dass er hörgeschädigt ist.

 

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Wie schwer ist es als Besitzer, einen hörgeschädigten Hund großzuziehen?

Dass er taub ist, verursacht eigentlich keine großen Schwierigkeiten. Am Anfang gab es zwar Probleme, aber nichts, was mit einem hörenden Welpen nicht passieren würde. Wir haben ihn anfangs an einer kurzen Leine geführt. So konnten wir ihm schnell und einfach signalisieren, wenn er etwas nicht richtig gemacht hat. Zu Hause, in der Wohnung, war es schwieriger, rechtzeitig auf seine Handlungen, wie zum Beispiel das Kauen an den Schuhen, zu reagieren. Wir mussten immer darauf achten, was er tat und wenn wir es geschafft hatten, ihn auf frischer Tat zu erwischen, mussten wir schnell zu ihm laufen und sofort mitteilen, dass wir nicht wollten, dass er weitermachte.

Ich bin besonders stolz darauf, dass er als Welpe sehr schnell gelernt hat, dass das Katzenfutter, das wir für die Katzen hingestellt hatten, nicht sein eigenes ist und er es auch dann nicht fressen darf, wenn es den ganzen Tag in der Schüssel liegt. Ich habe es ihm beigebracht, indem ich einen vollen Teller auf den Boden stellte und auf seine Nase tippte, wenn er versuchte, es zu berühren.

 

Ihr habt also auch Katzen. Wie kommt er mit ihnen zurecht?

Großartig! Als Carlos in der Familie ankam, wurde nicht nur Belian von der ersten Minute an, sein Partner, er musste alles auch mit zwei Katzen teilen.

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Der Chef im Haus ist eine der Katzen, sie hält Ordnung im Haus. Wenn sie genug von Carlos hat, dann schlägt sie ihn sanft ohne Krallen. Sie weiß genau, dass das genug ist, um ihren Freund in die Schranken zu weisen. Ich denke, dass beide Katzen verstehen, dass für Carlos die Berührung die Hauptkommunikationsform ist, deshalb wird er von ihnen auch vorsichtiger behandelt. Die Berührung ist so wichtig für ihn, dass er sich zum Beispiel gerne an die Füße des Menschen lehnt. Ich erlaube es ihm auch dann, wenn ich gerade fein angezogen irgendwohin will und es eilig habe. Damit drückt er eben seine Verbundenheit, seine Liebe aus und ich hindere ihn nicht daran.

 

Denkst du, dass es auch eine positive Seite hat, dass dein Hund taub ist?

Ich denke, es gibt auch etwas Positives daran, dass er nicht hört. Er kann auch beim größten Krach, glücklich schlafen. Belian hat immer ein Problem bei Stürmen oder Feuerwerk. Carlos nicht. Er hört es nicht einmal, wenn mein sechs Monate altes Baby weint und ich denke, das betrachtet er auch als einen Vorteil.

 

Wie soll Carlos sich an das Baby gewöhnen?

Ich lasse ihn bereits jetzt an meinen kleinen Sohn heran. Wir haben bewusst versucht, Carlos auch während der Schwangerschaft darauf vorzubereiten. Als wir das Baby mit nach Hause genommen haben, haben wir Carlos mit Handzeichen instruiert und näherten uns mit dem Baby nach und nach und ließen ihn schnüffeln. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen und wir sind so weit, dass er die Hand meines kleinen Jungen leckt und der laut auflacht. Ich bin sicher, dass Carlos und Peti ewige Freunde sein werden.

 

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Mit Peti

Wie viel Bewegung braucht er? Habt ihr schon Hundesportarten ausprobiert?

Wegen meines Babys passt es zeitlich nicht, eine Hundesportart anzufangen. Vor meiner Schwangerschaft haben wir versucht, Fahrrad zu fahren und er ist an der Leine neben mir gelaufen. Die koordinierte Bewegung erforderte eine angemessene Disziplin, aber er hat mein Tempo ziemlich gut mitgemacht. Er wollte mich nicht schneiden oder zurückfallen.

Zum Glück ist unser Garten groß genug, so dass Belian und er sich tagsüber gegenseitig müde spielen. Davon unabhängig gehen wir jeden Tag Spazieren und besuchen regelmäßig den Hundeauslaufplatz. Am Wochenende machen wir Ausflüge. Wir lassen ihn nie Zuhause. Egal wohin wir gehen, er kommt immer mit. Ob es sich um eine große Reise oder einen kleinen Ausflug handelt.

 

Was würdest du denjenigen raten, die darüber nachdenken, einen gehörlosen Hund aufzunehmen?

Ich rate ihnen, sich Videos anzuschauen, wie sie mit einem gehörlosen Hund leben können. Wenn sie in sich den Wunsch spüren, zu lernen über einen anderen Kanal mit dem Hund zu kommunizieren, dann sollten sie damit ruhig anfangen.

Carlos wurde taub geboren, also habe ich keine Erfahrung, wie es ist, einen Hund aufzunehmen, der sein Gehör erst später verloren hat. Es kann auch sein, dass ein solcher Hund unsicher oder scheu ist. Aber ich denke, wenn ein Hund Mitglied einer Familie ist und die Unterstützung erhält, die er braucht, wenn er in der Familie, also in seinem Rudel, seinen Platz findet, dann kann er unabhängig von seiner körperlichen Behinderung glücklich sein.

Für uns war es nur die Frage des Umgewöhnens von der Stimme auf die Handzeichen. Wir haben keine Kämpfe, keine Misserfolge, die Taubheit ist kein Nachteil, wir sind froh, Carlos gefunden zu haben.

 

Text: Annamária Horváth

Übersetzung: Lisa P. Schröter